Werte
Eines der heikelsten und wohl auch spannendsten Themen rund um den Teppich ist jenes der Werte, bewusst steht hier nicht „des Wertes“. Wie so viele andere Güter, haben auch Teppiche nicht „einen“ Wert. Dies mag prima vista vielleicht verwundern, ist aber bei genauerem Hinsehen durchaus verständlich, wenn nicht sogar logisch. Nehmen Sie einen Steinpilz. Wenn ein Bauernbub einen Steinpilz in den Karpaten im Wald klaubt und bei einer Sammelstelle abliefert, wird er dafür den Wert 1 bekommen. Wenn nun dieser Pilz von den Karpaten zu einem Pilzgroßhändler in eine europäische logistische Zentrale transportiert wird, um dort zwischengelagert zu werden, wird der aus 1 möglicherweise 1,5 werden. Wenn die logistische Zentrale denselben Steinpilz an einen Detailhändler weiterverkauft wird daraus vielleicht 2 werden. Und der Detailhändler, der kleine Mengen auf den Markt bringt, mit Verdunstungs- und Fäulnisverlusten zu kämpfen hat, wird aus 2 wohl 3 bis 3,5 machen müssen, um leben zu können. Wir haben also ein und denselben Steinpilz – und das zu unterschiedlichen Preisen und Werten. Zu bedenken ist, dass auf Grund von Naturlaunen oder Zufällen aus 1 auch 5 oder 6 oder 7 werden kann.
Blickt man in die Teppichwelten, kann man auch unterschiedliche Wertstrukturen feststellen. Es ist ein Gemeinplatz, über die armen, ausgebeuteten KnüpferInnen von Teppichen zu jammern. Einen Teppich zu produzieren, ist mit vielen Wertschöpfungsschritten verbunden. Dazu gehören das Züchten, Weiden und Scheren der Schafe, das Spinnen und Färben der Wolle, das Aufbereiten des Färbematerials, das Zeichnen der Teppichmuster, das Vorbereiten eines Knüpfstuhles, das Knüpfen des Teppichs, das Waschen und Finishing nach dem Knüpfen. Sie sehen, das Knüpfen ist nur ein Arbeitsprozess von vielen. Und bei der heutigen Manufakturproduktion ist es auch nicht der kreativste Teil der Arbeitskette. Wenn man all diese Prozesse zusammenfasst, kommt man zu einem Erzeugerpreis. Wie geht es dann weiter, welche anderen Preise und Werte entstehen?
Der geknüpfte Teppich wird nun von einem Großhändler aufgekauft und in ein internationales Großhandelslager gebracht. Auch das ist eine Leistung, auch das verursacht Kosten. Daher gibt es eine weitere Bewertungsebene: der durchschnittliche internationale Großhandelswert.
Nun kauft diesen Teppich ein Detailhändler, bringt den Teppich in sein Geschäft. In vielen Fällen kommt nun erstmals eine indirekte Steuer, die Mehrwertsteuer, hinzu. Der Detailhändler bezahlt Gehälter, Mieten, Energieaufwand, Werbung usw. Es kommt nun zu einem Detailhandelspreis inkl. MWSt.
Nehmen wir nun an, dieser Teppich wird gekauft und liegt in einer Wohnung. Aus welchem Grund auch immer, der Teppich muss nun nach einer gewissen Zeit verkauft werden. Er ist in makellosem Zustand – aber was ist dieser Teppich nun wert? Den Einzelhandelswert? Gewiss nicht. Denn die Privatperson, die diesen Teppich verkaufen will oder muss, unterhält kein Geschäft, bezahlt aus dem Verkauf des Teppichs keine Gehälter, keine Beiträge zur Sozialversicherung, etc. Wenn dieser Teppich nun von der Privatperson an einen Freund oder Bekannten verkauft wird, dann spricht man von einem Verkehrswert unter Privaten.
Nehmen wir aber an, der Eigentümer des Teppichs ist verstorben. Die Erben wollen weder den Teppich, noch die Wohnung oder die Möbel. Alles muss verkauft werden. In diesem Fall geht man in der Rechtsprechung vom Gemeinen Wert aus. Das ist jener Wert, der jedenfalls bei einem raschen Verkauf erzielt werden sollte. Der Teppich hätte dann einen Veräußerungswert, der jedenfalls erzielt werden sollte, wenn der Teppich an einen Wiederverkäufer, sprich an einen Händler verkauft wird.
Erschrecken Sie nicht, aber gehen Sie in einer Faustformel davon aus, dass ein Teppich mit dem Detailhandelswert 100 einen Veräußerungswert von vielleicht 30 oder 40 hat. Wenn Sie davon einmal betroffen und nicht damit zufrieden sein sollten – dann müßten Sie als Alternative vielleicht ein Teppichgeschäft aufmachen, um Ihren Teppich vielleicht doch um 100 oder nach einem Nachlass vielleicht nur um 90 oder 95 verkaufen zu können. Dann müssten Sie von diesen 90 oder 95 die MWSt, die Miete, den Strom, allfällige Gehälter, Nebenkosten, Sozialversicherung, etc. bezahlen.
Haben Sie übrigens auch schon einmal darüber nachgedacht, was passiert, wenn Sie eine Wohnung innerhalb weniger Monate 5-6 mal verkaufen und kaufen? Nach einigen Käufen und Verkäufen werden Nebenkosten und Spesen den Wert der Wohnung langsam vernichten.
Wir sind wieder beim eingangs angesprochenen Thema: Auch bei Teppichen braucht man eine große Portion Hausverstand. Denn alle Werte hängen immer von der Wirtschaft, ihrer Wertschöpfung und Steuerleistung ab. Warum soll das nicht auch für Teppiche gelten?