Ein „echter Perser“?
Was ist eigentlich ein Orientteppich? Früher einmal hätte man diese Frage einfach und unbekümmert beantwortet: ein „echter Perser“. Auch heute hört man dies immer wieder.
Hinter dieser Formulierung stehen historische Entwicklungen. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, gepusht durch die Weltausstellungen, wurde Persien zum Hauptlieferanten für große Teppiche, die in den Salons des aufsteigenden Bürgertums von London bis Wien und von Paris bis St. Petersburg gefragt waren. Zu dieser Zeit setzte eine Entwicklung ein, die die Teppichproduktionen im Orient nachhaltig veränderten. Persien galt damals als orientalisches Märchenland, das nicht von den düsteren Schatten der Türkenkriege belastet war. Persien war exotisch, bunt, sympathisch. Dies schwamm mit der floralen Pracht der „Perserteppiche“ mit. Bis in die 1980er Jahre bestimmte die Stilistik und Typik der „Perserteppiche“ maßgeblich die Produktion im Orient und die Nachfrage in Europa und Übersee.
Das Attribut „echt“ suggeriert eine nächste Frage: Gibt es auch „unechte“ oder „falsche“ Perser? In den zuvor skizzierten Zusammenhängen hätte man früher wohl „jein“ sagen müssen. Die vor allem in der Nachkriegszeit enorm gestiegene Nachfrage nach Orientteppichen hatte viele Folgen, die, marktwirtschaftlich betrachtet, nur zu logisch waren. Persien, das seit den 1970er Jahren den offiziellen Namen Iran trägt, konnte mit seinen Produktionskapazitäten die Nachfrage im Westen nicht stillen. Der Ölboom führte zudem zu einer ständigen Aufwertung der persischen Währung, was die Teppiche aus Persien teurer machte. So kam es, dass sich viele Länder an der Befriedigung der weltweiten Nachfrage nach Teppichen mit „Persermustern“ beteiligten. Auf einmal kamen Teppiche mit floraler Musterung, die man bis dahin nur aus Täbriz oder Isfahan kannte, aus Bulgarien, Albanien, Rumänien, Tunesien, Ägypten, Indien, Pakistan oder China. Es zählt heute zu den schwierigeren Herausforderungen, z.B. Balkan-Nachknüpfungen von originalen persischen Teppichen zu unterscheiden.
Solche Formen der Globalisierung waren indes auch damals nicht neu. Und damit sind wir schon mitten in der Geschichte der Teppichkunst.